Vorgeschichte, Gründung, Aufbau und Entwicklung der TU Graz im Zeitstrahl

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Neunte Etappe: Reformen in Richtung Wettbewerb

1979 endete mit der Islamischen Revolution der  politische Einfluss des Westens im Iran. Der in der Folge ausgebrochene  Iran-Irak-Krieg führte zur zweiten Ölpreiskrise 1980, diese zu einer starken internationalen  Rezession vor allem in der Grundstoffindustrie, die sich in Österreich zusätzlich  verursacht durch „hausgemachte“ Faktoren bis Mitte der 1980er Jahre als Krise der verstaatlichten Industrie bemerkbar machte.

Unmittelbare Konsequenz war ein Paradigmenwandel in der österreichischen Wirtschaftspolitik, die ab nun viel stärker als bisher auf eine Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Industrie durch Entwicklung intelligenterer Produkte setzte.

Dies bedeutete für den Hochschulbereich, dass  man unter der Parole „heraus aus dem Elfenbeinturm“ verstärkt die Produktion nützlichen = finanziell verwertbaren Wissens fördern wollte, eine Entwicklung, die der seit jeher stark praxisorientierten Technischen Universität Graz in besonderer Weise zugute kam.

Innovative Finanzierungsformen
Eine organisierte österreichische  Forschungsförderung existierte bereits seit der gesetzlich fixierten Gründung der Förderungsfonds FWF und FFF im Jahr 1967. Davor gab es nur zwei im Jahr 1960 gegründete Vereine, mit denen jedoch nach OECD-Berechnung zusammen eine Förderungsquote nur knapp über dem Niveau von Entwicklungsländern erreicht wurde. Ab 1981 war mit dem Forschungsorganisationsgesetz eine Grundlage auch für die zunehmende Auftragsforschung der Ministerien und der Industrie gegeben.

Die staatliche Förderorganisation erforderte eine administrative Gegenstelle an den Universitäten. An der TU Graz wurde  diese Aufgabe zunächst vom Außeninstitut wahrgenommen, das ab 1985 nach fast 40 Jahren ehrenamtlicher Organisation eine erste Planstelle erhielt.

Anfang der 1990er Jahre zeichnete sich nach dem Beitrittsantrag Österreichs zur Europäischen Union eine weitere Forschungs-Finanzierungsquelle ab: die Teilnahme an den  Forschungsrahmenprogrammen der EU.

Zusätzlich wurde im Organisationsgesetz 1993  den österreichischen Universitätsinstituten erlaubt, im eigenen Namen  Forschungsaufträge durchzuführen und Forschungsgelder zu beantragen. Im Zuge  der Umsetzung dieses Gesetzes wurde an der TU Graz 1996 das Außeninstitut  aufgelöst, zur Unterstützung der Forscher bei der Lukrierung von  Forschungsgeldern wurde als Nachfolger eine Servicestelle für Forschungs- und Technologieinformation eingerichtet.

Aktive Kommunikation mit der Öffentlichkeit
Die Parole „heraus aus dem Elfenbeinturm“ bedeutete auch, dass man die Bedeutung von Wissenschaft und Forschung und damit das Geschehen an den Hochschulen der Öffentlichkeit besser als bisher erklären musste. Ein erhöhter Rechtfertigungsdruck für die Kosten des Bildungssystems entstand. An der TU Graz führte dies zu bislang unbekannten publizistischen Aktivitäten: In das Jahr 1988 datiert der erste gedruckte Jahresbericht eines Rektors seit über 30 Jahren, der erste gedruckte Forschungsbericht überhaupt, die erste wenigstens einige Zeit periodisch erscheinende Universitätszeitung. Es war dies der Beginn des Aufbaus eines administrativ leistungsfähigen „Büros des Rektors“. Wenig später folgte bereits die erste Homepage der TU Graz.

Wie sehr dies einen Paradigmenwechsel im Umgang der Technik mit der Öffentlichkeit bedeutete, kann man an einer Episode erahnen, die sich noch wenig vorher, 1986 – im Jahr der 175-Jahr-Feier – ereignet hat. Über offizielle Einladung einer Fakultät fand in der Aula der  Vortrag eines Historikers statt, der heute als bekannter Holocaust-Leugner gilt. Aufgrund heftiger Proteste von Studierenden stand die gesamte  Veranstaltung unter Polizeischutz.

Die zu dieser Zeit einsetzende gesellschaftliche Diskussion über Vergangenheitsbewältigung – 1988 wurde die  fünfzigste Wiederkehr des Untergangs eines selbständigen österreichischen  Staates 1938 als öffentliches Gedenkjahr begangen – führte an der TU Graz zu  einer kleinen Sensation: Erstmals seit der räumlichen Trennung der Hochschule  vom Joanneum vor 100 Jahren gedachte man der eigenen institutionellen Vergangenheit nachhaltiger als dies bei Jubiläen und in Festveranstaltungen möglich ist: Die über all die Jahre im Steiermärkischen Landesarchiv ausgelagerten historischen Aktenmaterialien sollten an die TU Graz überstellt, ein eigenes TU-Archiv gegründet werden, was nach einigen Schwierigkeiten auch realisiert werden konnte.

Bildungswettbewerb: Fachhochschulen und Profilbildung an Universitäten
1990 erfolgte in Österreich der Beschluss zum Aufbau eines Fachhochschul-Systems mit dem Ziel einer Diversifizierung und einer  Erhöhung der Durchlässigkeit des Hochschulwesens sowie einer Harmonisierung des österreichischen Bildungssystems mit den EU-Staaten. 1993 wurde das entsprechende Bundesgesetz verabschiedet, das das Ende des staatlichen Monopols im Hochschulbereich bedeutete. 1994 starteten die ersten Studiengänge.

1997 wurden mit dem Universitäts-Studiengesetz wesentliche Kompetenzen in der Studienplangestaltung vom Ministerium weg an die Universitäten übertragen: Die Studienpläne konnten von den Studienkommissionen an den Hochschulen erstmals in Autonomie beschlossen werden und wurden vom  Ministerium nur mehr „nicht untersagt“. Das Gesetz selbst enthielt im Unterschied zu seinem Vorgänger aus den 1960er Jahren nur mehr allgemeine  Regelungen. Erstmals sollten Verwendungsprofile für die Absolventen eines Studiums schon bei der Studienplangestaltung definiert werden.

Das Universitäts-Studiengesetz war in seinen wesentlichen Teilen nur knapp 6 Jahre in Geltung. Es ist daher im Nachhinein letztlich nur als Übergangsregelung zu betrachten, brach aber nachhaltig mit zwei ganz alten Traditionen des österreichischen Bildungssystems: Zum ersten Mal wurde für das Weiterverfolgen eines Studiums, das nach alten Vorschriften begonnen worden war, ein „Ablaufdatum“ eingeführt, bei dessen Überschreiten ein Abschluss nicht mehr möglich war. Weiters wurde der Abschluss eines Studiums formell als der Zeitpunkt festgelegt, zu dem ein schriftlicher Abschlussbescheid mit gleichzeitiger Zuerkennung des akademischen Grades ausgestellt  wird. Der Studienabschluss wurde damit von der Zeremonie der Verleihung des akademischen Grades in einem akademischen Festakt mit feierlichem Gelöbnis entkoppelt. Bereits einige Jahre zuvor war für Kritiker dieser Prozedur als Zwischenlösung die „stille Sponsion/Promotion“ ohne Feier vor einem Beamten ermöglicht worden, von der an der TU Graz erstmals 1985 Gebrauch gemacht wurde. Die tief verwurzelte Tradition der feierlichen Sponsionen und Promotionen wurde davon freilich nicht berührt – noch heute werden diese an der TU Graz von ca. 90% der Absolventinnen und Absolventen besucht.

Infrastruktur-Investitionen
An den mittlerweile 3 Standorten der TU Graz konnten einige Bauprojekte realisiert werden, die zu den schwierigsten in der Geschichte der TU Graz gehörten.

1988 wurden nach fast 20 Jahren Bauzeit und mehreren Umplanungen die Gebäude der Maschinenbau-Institute in der Inffeldgasse endgültig fertig gestellt.

In der Alten Technik konnte der geplante Erweiterungsbau für Architekten und Bauingenieure wegen intensiver Proteste einer Bürgerinitiative nach 10 Jahren Planungs- und Bauzeit 1993 nur stark verkleinert eröffnet werden.

Das daher zusätzlich notwendige Ersatzgebäude für Geodäsie und Mathematik konnte in der Steyrergasse erst errichtet werden, nachdem es gelungen war, das an diesem Ort befindliche frühere Heizhaus erfolgreich abzutragen. Man benötigte dazu nach mehreren erfolglosen Sprengversuchen letztlich Bergepanzer des Bundesheeres. Der Abbruch dauerte auf  diese Weise nach dem erfolgten Beschluss insgesamt 4 Jahre (1984 bis 1988), der  Neubau konnte 1990 eröffnet werden.

Dagegen konnte das Gebäude für die Biochemie und Biotechnologie mit 7 Jahren Planungs- und Bauzeit relativ rasch verwirklicht werden und wurde 1991 eröffnet, wodurch das Gebäude Schlögelgasse 9 nach 72 Jahren der Nutzung durch Biochemiker und einer daher erforderlichen Totalsanierung für die nächsten 20 Jahre für die heutige Nutzung durch Zeichensäle und zentrale Serviceeinrichtungen frei wurde.

Studienversuche
Non scolae, sed vitae discimus – der alte  Gedanke, dass Bildung in jungen Jahren eine Art Proviant für das ganze Leben  darstellt, wurde und wird durch die zunehmende Geschwindigkeit, in der sich die Lebensumstände ändern, zunehmend interpretationsbedürftig. Eine Antwort auf  diese Herausforderung ist der Gedanke des lebenslangen Lernens, anders ausgedrückt: der Flexibilität des Menschen gegenüber den jeweils herrschenden  Umständen.

Lebenslanges Lernen für Hochschulabsolventen wurde in einer zunehmend vom Wettbewerb geprägten beruflichen Umgebung zunächst als Erfordernis zu postgradualer Ausbildung verstanden. Dieses Thema wurde in den 1980er Jahren zunehmend als neue Aufgabe der Universitäten erkannt. Die  Diskussion, wie diese Aufgabe zu organisieren sei, ist bis heute nicht  abgeschlossen.

Eine gesetzliche Möglichkeit bestand darin, sogenannte „Aufbaustudien“ anzubieten. An der TU Graz wurden die Aufbaustudien  „Technischer Umweltschutz“ (Abschlüsse 1987 bis 2000) und „Betriebs-, Rechts-  und Wirtschaftswissenschaften“ (Abschlüsse 1987 bis 2000) eingerichtet. Eine andere Möglichkeit waren die Hochschullehrgänge. Hier gab es an der TU Graz Anfang der 1990er Jahre einen ersten Versuch mit dem Lehrgang „Betriebliches Informations- und Technologiemanagement“ (Abschlüsse einmalig 1991).

Die Veränderungsgeschwindigkeit der  technisierten Zivilisation erforderte auch mehr Flexibilität im Grundstudium. Eine gesetzliche Möglichkeit dazu waren Studienversuche, an der TU Graz beispielsweise für „Fertigungsautomatisierung“ (kurzzeitig eingerichtet 1992) oder für „Telematik“, einem interfakultären Kombinationsstudium aus elektrotechnischen und mathematisch-informatischen Inhalten (Abschlüsse ab  1991), das später aufgrund großen Erfolges als reguläres Diplomstudium eingerichtet wurde. Eine weitere Möglichkeit bestand im sogenannten „studium  irregulare“, einem individuell zusammengestellten Studienprogramm, das, wenn es für eine studierende Person auf deren Antrag genehmigt wurde, gesetzlich weiteren Antragstellern nicht abgelehnt werden konnte.

Wolfgang Wallner